TH 029

Th 029 (1)
Th 029 (2)
Klinik

25-jähriger Leistungsschwimmer. Wettkampfabbruch wegen akut aufgetretener Dyspnoe.

Falldiskussion

Bildanalyse
Bilaterale, asymmetrische Transparenzminderung der mittleren und basalen Lungenabschnitte durch fleckförmig verteilte, peripher bevorzugte, nicht segmentäre, unscharf begrenzte konfluierende alveoläre Parenchymkonsolidationen. Luftgefüllte Bronchien sichtbar. Keine Kerley-Linien.
Die Sinus phrenicocostales sind spitz zulaufend und frei, die Interlobien sind bds. leicht verdickt.
Die systemischen Gefässe (vascular pedicle width), das Herz (CTI=0,54) und die Lungengefässe (Lungenblutvolumen, Blutverteilung) sind normal.

Differentialdiagnose
Ätiologisch sind bei Auftreten einer akuten diffusen Lungenerkrankung mit einem azinären Verschattungsmuster meistens Pneumonie, Lungenödem, seltener Lungenblutung und Fettembolie in Betracht zu ziehen.

Diagnose
Alveoläres Lungenödem - durch Schwimmen induziert (SIPE = Swimming-induced pulmonary edema)

Topiks
Ein alveoläres Lungenödem lässt sich radiologisch anhand der verminderten Lungentransparenz durch Milchglastrübungen und Konsolidationen erkennen, die sich zunächst als unscharf begrenzte, rosetten- oder fleckförmige hypotransparente azinäre Areale von mindestens 5 mm Durchmesser äussern, die rasch konfluieren und ein Pneumobronchogramm entstehen lassen. Beim Hyperpermeabilitätsödem sind die Parenchymkonsolidationen bilateral diffus oder asymmetrisch verteilt und schliessen die Lungenperipherie mit ein. Da im Rahmen einer Hyperpermeabilität das alveoläre Lungenödem im Vordergrund steht und sehr schnell auftritt, wird die interstitielle Ödemkomponente weniger deutlich und häufig nicht isoliert gesehen. Herzvergrösserung, Dilatation pulmonaler Gefässe und Pleuraergüsse sind beim Hyperpermeabilitätsödem in der Regel nicht vorhanden. Die Dynamik eines alveolären Lungenödems (mit rasanter Ausbildung und Rückentwicklung bei adäquater Therapie) kann als differentialdiagnostisches Kriterium für die Abgrenzung gegen andere akute diffuse alveoläre Lungenerkrankungen verwendet werden.

Das durch Schwimmen induzierte Lungenödem (SIPE) ist ein nicht-kardial bedingtes Hyperper-meabilitätsödem, eiweissreich mit Erythrozyten, das charakteristischerweise bei jungen, gesunden und durchtrainierten Sportlern, die längere Zeit im kalten Wasser schwimmen, ohne Vorwarnung auftreten kann. Typischerweise kommt dies beim Triathlon vor - es wird vermutet, dass das SIPE-Syndrom bei 1–2 % aller Triathleten im Rahmen der Schwimmdisziplin auftritt - aber auch beim Schnorcheln und Tauchen (mit/ohne Atemgerät). Gewöhnlich erholen sich die Sportler - nach sofortiger Einstellung der körperlichen Belastung und Verlassen des Wassers - innerhalb von 24-48 Stunden wieder vollständig, spontan oder unter supportiver Therapie mit Sauerstoffgabe, Inhalation eines beta-2 Sympathomimetikum (z. B. Salbutamol), peroral verabreichtem Vasodilatans (Sildenafil), und Diuretika sowie Steroiden unter antibiotischer Abschirmung. Das wiederholte Auftreten bei Betroffenen zeigt, dass SIPE ein oft rekurrentes Phänomen beim Schwimmen ist.
Die komplizierte und multifaktorielle Pathophysiologie des SIPE ist bis heute nicht vollständig geklärt. Sicher spielen die Beeinflussung der Kreislaufphysiologie durch physikalische Kräfte beim Schwimmen im Wasser und das Zusammentreffen hämodynamischer Faktoren wie die Zunahme des pulmonal arteriellen Drucks und ein Ungleichgewicht zwischen dem rechts- und linksventrikulären Schlagvolumen eine wichtige Rolle beim Auslösen einer stressbedingten akut vermehrten Durchlässigkeit der alveolokapillären Barriere mit vermehrter Flüssigkeitsansammlung im extravaskulären Raum der Lunge (bevorzugt in den Alveolen) und von Diffusionsstörungen mit reduzierter Sauerstoffsättigung.
Massgebliche Umstände sind neben einer individuellen Veranlagung das Geschlecht (Frauen haben ein höheres Risiko als Männer, an einem durch Schwimmen induzierten Lungenödem zu erkranken), kaltes Wasser (induziert periphere Vasokonstriktion und Zentralisation des Kreislaufs), massive körperliche Belastung, ein überschiessender Anstieg des negativen intrathorakalen Drucks bei maximalen Atemzugvolumina, Verminderung der Vitalkapazität, erhöhte Flüssigkeitsaufnahme (Hyperhydrierung), oder die Einnahme von Fischöl.
Gefährdet sind auch (vor allem ältere) Schwimmsportler mit einer unbehandelten arteriellen Hypertonie, Kardiomyopathie, linksventrikulären Hypertrophie, Herzklappenfehler, pathologischen linksventrikulären Funktion, oder obstruktiven Schlafapnoe. In den meisten Fällen fehlen allerdings kardiopulmonale Vorerkrankungen; auch konnte bei keinem der Betroffenen andere Ursachen eines nichtkardiogenen Lungenödems (z.B. Aspiration, ein medikamentös-toxisches Geschehen, eine akute Glomerulonephritis, ein Infekt der Atemwege, eine allergische, Reaktion ein Laryngospasmus, eine Rauchgasinhalation, ein neurogenes Lungenödem, Lungenembolie, Sepsis) nachgewiesen werden.
Das Tückische beim SIPE-Syndrom ist, dass sich die klinischen Symptome wie schwere Atemnot, Hustenanfälle, Hämoptysen, Beklemmungsgefühl/Thoraxschmerzen oder Bewusstlosigkeit innerhalb von wenigen Minuten während oder kurz nach dem Schwimmen entwickeln können, und manche Patienten am Herzstillstand sterben. Die American Heart Association berichtet von 43 Todesfällen beim Triathlon in den Jahren 2003 bis 2011, dabei traten 30 akute Todesfälle beim Schwimmwettbewerb auf. Meist kündigte sich dieses lebensgefährliche Syndrom in der Vorgeschichte nicht an.

Literatur
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Smith, R., Ormerod J.O.M., Sabharwal, N., Kipps, C. Swimming-induced pulmonary edema: current perspectives. Open Access Journal of Sports Medicine 2018; 9: 131-137.

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