TH 027

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Klinik

20-jähriger Patient. Stumpfes Thoraxtrauma.

Falldiskussion
Bildanalyse
Halswirbelsäule (a.p., seitlich, Denszielaufnahme): In Projektion auf die zentralen supra- und infrahyoidalen Halsweichteile, v.a. retropharyngeal/retrotracheal, langstreckige bis in das Mediastinum reichende vertikal ausgerichtete Streifen von negativer Radiodensität. Rundliche und streifenförmige Hypertransparenzen in Projektion auf den posterioren Zervikalraum supraklavikular bds..
Normalbefund der HWS.
 
Thorax (p.a., seitlich): fehlende Abbildung der Lungenspitzen. Vertikal ausgerichtete Streifen von negativer Radiodensität retrosternal und paratracheal. Scharfe Demarkierung und verbesserter Darstellung der linken Aortenkontur durch paraaortale Hypertransparenz auf Höhe des Aortenbogens und proximalen Aorta descendens.
Normalbefund von Herz und Lunge. Kein AP für einen Pneumothorax.
 
Differentialdiagnose
Die Differentialdiagnose zervikaler gashältiger Läsionen umfasst u.a.
  • iatrogene Verletzungen (Kutis, Pharynx, Ösophagus, Larynx, Trachea, maxillofacial)
  • traumatische Verletzungen (stumpf, penetrierend)
  • Abszess
  • Laryngozele
  • Pharyngozele
  • Divertikel (Hypopharynx, Ösophagus, Trachea)
  • Achalasie
  • Branchiogene Anomalie der 4. Kiemenbogenregion
  • apikale Lungenherniation, congenital/ erworben
  • aufsteigendes Gas subkutan und in den Bindegewebsräumen des Halses bei Mediastinalemphysem
  • Gaseinschlüsse in Hautfalten oder Kleidung
  • Überlagerung durch Haare (Rastafrisur)
Diagnose
Zervikales Weichteilemphysem bei Mediastinalemphysem und (im CT nachgewiesenem) Pneumothorax nach stumpfem Thoraxtrauma
 
Topiks
Als Mediastinalemphysem oder Pneumomediastinum bezeichnet man das pathologische extraluminale Vorkommen von Luft oder Gas im lockeren mediastinalen Bindegewebe. Bei ausgeprägtem Befund kann es sich schnell und relativ unbegrenzt in den miteinander korrespondierenden mediastinalen Kompartimenten und, dem Weg des geringsten Widerstandes folgend, weiter in die Fettbindegewebsräume des Halses, die Subcutis, die Pleura-, Perikard- und Peritonealhöhle, das Retroperitoneum, und den epiduralen Raum ausbreiten. Umgekehrt kann Gas/Luft ursächlich aus einem dieser benachbarten Regionen in das Mediastinum disseziieren.
Das Mediastinalemphysem ist ein seltenes Symptom mit stark variierender klinischer Ausprägung bei unterschiedlichsten intra- und extrathorakalen Ursachen. Häufigster Entstehungsmechanismus ist das mediastinale Entweichen von Luft aus luftführenden Organen (Lunge, Larynx, Tracheobronchialbaum, Mundhöhle, Pharynx, Ösophagus, Gastrointestinaltrakt, Nasennebenhöhlen). Es kann ein primäres von einem sekundären Mediastinalemphysem unterschieden werden:
  • primäres Mediastinalemphysem (idiopathisch): spontan, ohne ein vorausgehendes Trauma oder eine vorbestehende Lungenerkrankung. Es ist meist Folge eines „Barotraumas“ im weitesten Sinn, u.a. nach körperlicher Anstrengung (Sport, Krampfanfall, Geschlechtsverkehr), Erbrechen, Hustenattacken, Valsalvamanöver (Gewichtheben, Geburt), Drogeneinnahme (Kokain, Marihuana, Ecstasy), Gerätetauchen oder unter maschineller Beatmung. Aufgrund eines erhöhten Druckgradienten zwischen den Alveolen und der Umgebung rupturieren subpleurale Alveolen, es kommt zum interstitiellen Lungenemphysem und - den Druckverhältnissen folgend - zum Luftübertritt entlang der peribronchialen und subpleuralen Spalträume in das mediastinale Interstitium. Bei einer gleichzeitigen Ruptur der viszeralen oder parietalen Pleura kann parallel auch ein Pneumothorax auftreten.
  • Sekundäres Mediastinalemphysem: nicht-spontan, ursächlicher Grund:
    • Pulmonal: nach alveolärer Ruptur durch vermehrte Fragilität der Alveolarwände (bei ARDS, COPD, Asthma, Bronchiolitis obliterans, Pneumonien, interstitielle Lungenerkrankungen)
    • Mediastinal:
      • Ruptur/Perforation der Trachea oder Hauptbronchien (traumatisch, iatrogen)
      • Ruptur/Perforation des Ösophagus (traumatisch, iatrogen, Boerhaave Syndrom, Fremdkörper, neoplastisch, entzündlich)
    • Zervikal:
      • Perforation von Larynx, Trachea, Pharynx, Ösophagus (traumatisch, iatrogen)
      • Mittelgesichtsfrakturen
      • Zustand nach  zahnmedizinischer und oralchirurgischer Behandlung und Operationen im ORL-Bereich
    • Abdominal:
      • Hohlorganperforation
      • Zustand  nach abdominellen Operationen.
Weitere Ursachen können das iatrogene Einbringen von Gas (z.B. beim diagnostischen Pneumoperitoneum, Pneumoretroperitoneum, Irrigoskopie) oder die Infektion mit gasbildenden Keimen (in der Regel durch eine deszendierende Infektion im ORL-Bereich, postoperativ nach Sternotomie oder nach einer Ösophagus-Perforation) sein.
 
Charakteristische Merkmale eines Pneumomediastinums im Röntgen-Thorax sind:
  • In kraniokaudaler Richtung, seitenüberschreitend entlang der vorgegebenen mediastinalen Leitstrukturen (Perikard, Ösophagus, Trachea, grosse Gefässe) verlaufende, geradlinige oder bogige Streifen und Linien von Gasdichte oder fokale hypertransparente Bläschen, mit stationärer topographischer Verteilung auch bei veränderter Patientenposition; ein Weichteilemphysem des Halses oder der Thoraxwand ist ein häufiger Begleitbefund des Mediastinalemphysems (Inzidenz 70%), eine Ausbreitung der mediastinalen Luft bis in das Retroperitoneum und Peritoneum ist möglich.
  • Eine linksseitig bevorzugte parakardiale/paraaortale Hypertransparenz mit feiner linearer lateraler Begrenzung durch die nach lateral abgehobene mediastinale Pleura parietalis und visceralis, mit konsekutiv durch die Kontrastanhebung scharfer Demarkierung und verbesserter Darstellung der Herz- und Aortenkontur.
  • Retrosternale/präkardiale streifenförmige Transparenzerhöhungen („Pneumopreperikardium“) mit Konturanhebung der Aorta ascendens, des Aortenbogens und seiner Äste, der Trachea und zentralen Bronchien.
  • Eine subkardiale Hypertransparenz mit - beim Gesunden nicht sichtbarer - kontinuierlicher Darstellung der kranialen Kontur des zentralen Zwerchfells („continous diaphragma sign“) im p.a.-Strahlengang und die Abgrenzbarkeit der üblicherweise infolge Silhouettenphänomens durch das Herz ausgelöschten Kontur des antero-medialen linken Hemidiaphragmas („continous left hemidiaphragm sign“) im seitlichen Strahlengang
  • Eine Transparenzerhöhung zwischen abgehobener Pleura parietalis und Diaphragma („extrapleural air sign“)
  • Darstellung einer apikalen extrapleuralen vermehrten Transparenz („lucent apical cap“) durch die, oft bilaterale, kraniolaterale Extension eines Pneumediastinums in das extrapleurale Gewebe über der Lungenspitze.
  • Eine V-förmige Transparenzerhöhung am Übergang linkes Zwerchfell/Aorta descendens („Naclerio`s V sign“)
  • Das Sichtbarwerden der Aussen- und Innenkontur des Hauptbronchus („double bronchial wall sign“).
  • Eine Hypertransparenz um die supraaortalen Äste, sodass sie tubulär erkennbar werden („tubular artery sign).
  • Ein luzenter Ring um das extraperikardiale Segment der rechten Pulmonalarterie («ring-around-the-artery-sign»).
  • Eine V-förmige Transparenzerhöhung am Konfluens der brachiozephalen Venen.
  • Ein assoziierter Pneumothorax (Inzidenz 40%).
  • Eine segelartige Abhebung und trianguläre laterale Ausdehnung des Thymus beim Kind („thymic spinnaker-sail sign“).
  • Auch kann ein von Gas umgebenes kindliches Herz wie ein Heuhaufen in Claude Monets gemalten Bildern imponieren („haystack sign“).
Das Mediastinalemphysem ist projektionsradiographisch in der Regel gut abgrenzbar. Im seitlichen Strahlengang besteht eine höhere Sensitivität als im p.a. Strahlengang. Früher und anatomisch-topographisch präziser als im Thoraxübersichtsbild sind bereits geringe Mengen und Verteilung von Luft/Gas im Mediastinum mit der CT nachzuweisen, die manchmal schwierige Differentialdiagnose zum Pneumoperikard oder medial lokalisierten Pneumothorax zu klären und vor allem relevante pathologische Prozesse von Lunge, Mediastinum oder der Atemwege zu erfassen und teilweise auszuschliessen; oral verabreichtes wasserlösliches Kontrastmittel kann durch ein Extraluminat die Lokalisation einer Ösophagusperforation aufzeigen.
 
Bei Hinweisen auf eine lebensbedrohliche Situation (bei Ösophagus-, Atemwegsruptur, Mediastinitis, Pneumoperikard, Pneumothorax) sollte diese aktiv (laborchemisch, Bronchoskopie, Ösophagogastroskopie) gesucht und, zur Vermeidung einer weitere Ausbreitung des Emphysems („malignes Mediastinalemphysem“) oder einer möglichen Keimverschleppung, ursächlich behandelt werden.
 
Literatur
 
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