Klinik
80-jähriger Patient mit Dyspnoe
Bildanalyse
Die Thoraxübersichtsaufnahme in der p.a. Projektion zeigt eine Dekonfiguration und abnorme Verbreiterung des oberen Mediastinums durch eine rechtsseitige paratracheale mediastinale weichteildichte Raumforderung auf Höhe BWK 3-7, die zu einer umschriebenen konvexbogigen Impression der nach links verlagerten Trachea von rechts führt. Der Aortenbogen ist prominent und an typischer Stelle links gelegen. Die Aorta descendes verläuft paramedian rechts.
Differentialdiagnose
- Kongenitale vaskuläre Läsion
- Arcus aortae dextra
- Doppelter Aortenbogen
- Erworbene vaskuläre Läsion
- Ektasie, Elongation, Aneurysma brachiozephaler Arterien
- Aortenaneurysma
- Hämatom
- Mediastinale Lymphadenopathie
- Thymogene Raumforderung
- Thyroidale Raumforderung
- Bonchuskarzinom
- Tracheale Raumforderung
- Oesophageale Raumforderung
- Keimzelltumor
- Neurogener Tumor
- Bronchogene Zyste
Diagnose
Doppelter Aortenbogen (Synonym: Arcus aortae duplex).
Topiks
Ein doppelter Aortenbogen entsteht als seltene Variation der normalen embryonalen Aortenbogenentwicklung bei 0,05-0,3% der Bevölkerung. Beide Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen. Die Duplikatur des Arcus aortae wird auf eine bilaterale Persistenz des vierten Aortenbogens und der primitiven dorsalen Aorta zurückgeführt. Deshalb teilt sich beim doppelten Aortenbogen die aszendierende Aorta in einen links und einen rechts der Trachea verlaufenden Aortenbogen. In den meisten Fällen findet diese Aufteilung unmittelbar vor der Trachea statt. Die beiden Schenkel des Aortenbogens ziehen an der Trachea vorbei und vereinigen sich retrotracheal und retroösophageal, in seltenen Fällen auch präösophageal, wieder zu einer gemeinsamen, in 75% links, ansonsten rechts deszendierenden Aorta. (Ausnahmsweise kann die dorsale Vereinigung ausbleiben, die beiden Aortenbögen ziehen als doppelte Aorta descendens thorakoabdominal nach kaudal und münden in die Iliakalarterien bds.). In 75% der Fälle ist der rechte Aortenbogen grösser und verläuft höher und dorsaler als der linke, in 20% ist der linke Bogen dominant, in 5% sind die Bögen von gleich starkem Durchmesser. Der weniger dominante Bogen kann in bis 1/3 der Fälle partiell atretisch sein, proximal oder distal des Ductus arteriosus (inkompletter doppelter Aortenbogen). Die Hals-/ Kopfgefäße entspringen einzeln aus dem jeweiligen Aortenbogen und sind meistens symmetrisch um die Trachea angeordnet, die A. subclavia dorsal, die A. carotis communis ventral („four vessel sign“ im CT und MRT). Ein Truncus bracheocephalicus fehlt.
Der doppelte Aortenbogen ist der häufigste Grund für einen kompletten Gefässring um Trachea und Oesophagus (55%) und die häufigste Ursache für ein vaskuläres tracheoösophagealse Kompressionssyndrom. Meistens sind klinische Symptome schon in den ersten 6 Lebensmonaten gegenwärtig. Bei Säuglingen und Kleinkindern sind eher Atem- oder Rasselgeräusche (Keuchen, inspiratorischer Stridor, schnarchende Atmung im Schlaf), Husten, rezidivierende Atemwegserkrankungen, eine erschwerte Atemtätigkeit bis hin zu schwerer Dyspnoe und Atemstillstand infolge der externen Kompression der Luftröhre oder einer Tracheomalazie zu beobachten, bei Jugendlichen und Erwachsenen treten vor allem Ess- und Trinkstörungen durch die externe Kompression der Speiseröhre auf, oft mit Würgereiz und Erbrechen. Ein doppelter Aortenbogen tritt i.a. isoliert auf, assoziierte kongenitale Herzerkrankungen sind selten (u.a. Ventrikelseptumdefekt). Ausnahmsweise kann bei einem doppelten Aortenbogen mit genügend weitem Gefässring Beschwerdefreiheit herrschen und die Diagnose nur per Zufallsbefund gestellt werden.
Radiologische Befunde wie Mediastinalverbreiterung, weichteildichte Raumforderung paratracheal rechts, Trachealdeviation (nach lateral und ventral), bilaterale Trachealimpression (i.a. R>L), raumfordernde Läsion erhöhter Dichte des Retrotrachealraumes (“Raiders Dreieck”), sowohl links- als auch rechtsseitige Vorwölbung eines paratrachealen Aortenbogens auf konventionellen Thoraxübersichtsaufnahmen können richtungsweisend für die Diagnosefindung eines doppelten Aortenbogens sein.
(Kontrastmitteluntersuchungen des retrotrachealen Oesophagus zeigen typischerweise in a.p. Projektion eine bilaterale Impression in einer “S”-fömigen Konfiguration auf Höhe der Aortenbögen, im Seitenbild eine breite Kompression von dorsal).
Eine exakte anatomische Diagnose und die Darstellung der Gefässmorphologie eines doppelten Aortenbogens, die differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderen kongenitalen Aortenbogenanomalien, sowie die Evaluation einer möglichen Luftwegskompression und/oder eines ösophagealen Impingements durch den Gefässring erbringen die CT oder MRT, nichtinvasiv und detailreich.
Literatur
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