TH 012

TH 012 (1)
TH 012 (2)
Klinik

70-jährige Patientin. Dyspnoe. Kein Fieber.

Falldiskussion

Bildanalyse
Die Thoraxübersichtsaufnahmen in der p.a. und seitlichen Projektion zeigen eine abnorme Verbreiterung des oberen Mediastinums auf 8,9 cm durch eine rechtsseitige paratracheale und paravertebrale mediastinale Raumforderung auf Höhe BWK 2-5, weichteildicht mit randständigen zarten Verkalkungen, die zu einer Impression von ventral und rechts der nach links verlagerten Trachea führt. Fehlender Aortenbogen an typischer Stelle links. Die Aorta descendens geht rechts aus der beschriebenen Läsion hervor und zieht nach kaudal links, die Mittellinie auf Höhe BWK 8 kreuzend. Normale Position des bei exzentrischer Hypertrophie des linken Ventrikels leicht vergrösserten, aortal konfigurierten Herzens (CTI=0,53). Normale Lungendurchblutung.

Differentialdiagnose

  • Kongenitale Aortenbogenanomalie
  • Aneurysma der Aorta oder eines ihrer Aeste
  • Pseudokoarktation
  • Lymphadenopathie
  • Thyrogene Raumforderungen
  • Thymogene Raumforderungen
  • Keimzelltumoren

Diagnose 

Rechtsseitiger zervikaler Aortenbogen (mit spiegelbildlichem Abgang der Halsgefässe und rechtsseitig verlaufender Aorta descendens)

Topiks
Lage- und Verlaufsanomalien der Aorta thoracica resultieren aus einer fehlerhaften Persistenz oder Involution der embryonal angelegten Aortenbögen bzw. der paarigen ventralen und dorsalen Aorta in der 3. Gestationswoche und/oder einer unterschiedlichen Dehiszenz vom 4. Aortenbogen und Herz in der 7. Gestationswoche. Fehlbildungen des Aortenbogens machen weniger als 1% aller angeborenen Herzfehler aus. In etwa 20% der Fälle gehen Aortenbogenanomalien mit einer Chromosom-22q11-Deletion einher. Beide Geschlechter sind etwa gleich häufig betroffen. Geographische oder ethnische Unterschiede bestehen nicht. Von den zahlreichen theoretisch möglichen Missbildungen sind die wichtigsten:

  • rechtsseitiger Aortenbogen mit spiegelbildlichen Abgängen der Halsgefässe (gehäuft assoziiert mit kongenitalen Herzmissbildungen), eventuell mit aberrierender linker A.subclavia (“A.lusoria”, 0,05%)
  • linksseitiger Aortenbogen mit aberrierender rechter A.subclavia (“A.lusoria”) (1% der Bevölkerung, 60% mit Kommerell-Divertikel), meist ohne assoziierte Herzmissbildungen
  • doppelter Aortenbogen.

Der zervikale Aortenbogen ist eine sehr seltene kongenitale Aortenanomalie. Er entsteht vermutlich als Folge einer abnormen unilateralen Regression des 4. Aortenbogens und Persistenz des ipsilateralen (2. oder) 3. primitiven Arkus, besteht aus einer abnormen Elongation der proximalen Aorta thoracalis-Abschnitte und einer ungewöhnlichen hohen Position des Aortenbogenapex kranial der Apertura thoracica superior, und kann als pulsierende Raumforderung supraklavikulär oder gar hoch zervikal imponieren. Zervikale Aortenbögen treten öfter rechtsseitig auf und dann oft mit Ventralverlagerung des Oesophagus und der Trachea. Eine abnorm hohe Position des rechts- oder linksseitigen Aortenbogens ist oft assoziiert mit Anomalien der brachiozephalen Gefässverzweigung:

Ursprungsvariationen der brachiozephalen Gefässe aus dem zervikalen Aortenbogen, von proximal nach distal 

RTBC, LTBC - Rechter, linker Truncus brachiocephalicus
RACC, LACC - Rechte, linke A. carotis communis
RACI, LACI - Rechte, linke A. carotis interna
RACE, LACE - Rechte, linke A. carotis externa
RAS, LAS - Rechte, linke A. subclavia

Linksseitiger zervikaler Aortenbogen                     Rechtsseitiger zervikaler Aortenbogen 

RTBC, LACC, LAS (normal)                                      LTBC, RACC, RAS (Spiegelbild des normalen linken Arcus aortae)
RTBC, LACE, LACI, LAS                                          LTBC, RACE, RACI, RAS
RACC, LACC, LAS, RAS                                           LACC, RACC, RAS, LAS
RACC, LACA, LACI, LAS, RAS                               LACC, RACE, RACI, RAS, LAS 

Eine aberrante A. subclavia entspringt entweder am Aortenisthmus oder direkt aus der proximalen Aorta descendens, oft via einem prominenten Kommerell-Divertikel, ohne oder mit Abgangsatresie oder Stenose. Die Position der Aorta descendens in Bezug auf die Wirbelsäule ist beim zervikalen Aortenbogen äusserst variabel und häufiger kontralateral zum zervikalen Aortenbogen (64%):

Haughton Klassifikation des zervikalen Aortenbogens

Typ A: Mit kontralateraler Aorta descendens und Fehlen einer A. carotis communis (die A. carotis interna und externa gehen direkt aus dem Truncus brachiocephalicus oder dem Arcus aortae hervor)

Typ B: Mit kontralateraler Aorta descendens and Vorliegen einer rechten und linken A. carotis communis

Typ C: Linksseitiger zervikaler Aortenbogen mit rechtsseitiger Aorta descendens und einem Truncus bicaroticus

Typ D: Linksseitiger zervikaler Aortenbogen mit ipsilateraler, oft hypoplastischerAorta descendens und normaler Abgangssequenz der brachiocephalen Gefässe

Typ E: Rechtsseitiger zervikaler Aortenbogen mit ipsilateraler Aorta descendens und aberranter A. subclavia sinistra

Bei vielen Patienten ist der zervikale Aortenbogen eine isolierte Anomalie mit einem asymptomatischen oder benignem Verlauf. Symptomatische Störungen treten i.a. nur bei Aortenbogenanomalien mit anatomischer vaskulärer Ringbildung auf (z.B. beim gleichzeitigen Vorkommen eines rechtsseitigen zervikalen Aortenbogens, einer aberranten, aus einem prominentem Kommerell-Divertikel abgehenden retroösophagealen A. subclavia sinistra und eines Ligamentum arteriosum links) und resultieren aus einer gefässbedingten Kompression der Trachea und/oder des Ösophagus, oder einer abnormen Blutzirkulation. Auch können weitere kongenitale Anomalien des Herz-Kreislaufsystems die Klinik bestimmen (u.a. Fallot-Tetralogie, pulmonale Stenose oder Atresie, Ventrikelseptumdefekt, offener Ductus Botalli, Coarctatio aortae, Stenosen oder Interruption des Aortenbogens; abnorme subaortale V. brachiocephalica sinistra). Sehr seltene assoziierte Komplikationen sind Aneurysmen des zervikalen Aortenbogens (auffallend dabei ist eine Bevorzugung des weiblichen Geschlechts). 

Befunde wie Mediastinalverbreiterung, Trachealverlagerung und das Fehlen des Aortenbogens an typischer Stelle links auf konventionellen Thoraxübersichtsaufnahmen können richtungsweisend für die Diagnosefindung eines zervikalen Aortenbogens sein. Zur definitiven Diagnostik ist eine Aortographie unnötig, da unklare Fälle mittels CT oder MRI nichtinvasiv diagnostiziert und ihre Morphologie detailreich visualisiert werden können.

Literatur
Farsak, B., et al. Case report: Cervical aortic arch with aneurysm formation. European Journal of Cardio-thoracic Surgery 1998/14/437 – 439
Felson, B., J.L.Strife Cervical Aortic Arch: A commentary. Seminars in Roentgenology 1989/XXIV/2/114-120.

Moncada, R., et al. The cervical aortic arch. Am J Roentgenol 1975/125/3/591-601.
Predey, T.A., et al. CT of Congenital Anomalies of the Aortic Arch. Seminars in Roentgenology 1989/XXIV/2/96-113.
Shuford, W.H., et al. The cervical aortic arch. Am J Roentgenol 1972/116/3/519-527.

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