Klinik
34-jährige Patientin. Belastungsdyspnoe, unproduktiver Husten. Bei der Auskultation vergleichsweise leise Atemgeräusche über der rechten Thoraxseite.
Bildanalyse
Die Thoraxübersichtsaufnahmen in der p.a.- und seitlichen Projektion zeigen eine leichte Thoraxasymmetrie bei gering volumenreduziertem rechten Hemithorax und eine mässige Trichterbrust. Die rechte Lunge ist im Vergleich kleiner, etwas transparenzvermindert und gefässrarefiziert mit einer auffallenden abnormen vertikalen, nach kaudomedial deszendierenden, nach lateral und dorsal konvexbogigen bandförmigen Opazität, die in einer runden weichteildichten Raumforderung retrokardial supradiaphragmal rechts endet. Die linke Lunge ist normal transparent bei Hyperzirkulation der Lungendurchblutung. Geringe Dextroposition des normal grossen Herzens. Die rechte Herzkontur ist ausgelöscht (“Silhouettenphänomen”).
Differentialdiagnose
Die radiologische Differentialdiagnose einer unilateralen kleinen Lunge mit Gefässrarefizierung und ipsilateraler Mediastinalverschiebung umfasst unter anderem
- kongenitale pulmonale venolobare Syndrom
- die isolierte kongenitale unilaterale Lungenhypoplasie
- die Agenesie der rechten Pulmonalarterie
- das McLeod oder Swyer-James Syndrom
- eine Atelektase
- einen Zustand nach Lobektomie
Diagnose
Scimitar-Syndrom (Synonyme: Halasz's syndrome, mirror-image lung syndrome, hypogenetic lung syndrome, epibronchial right pulmonary artery syndrome, vena cava bronchovascular syndrome) mit rechtsseitiger Hypoplasie der Lunge und Pulmonalarterie und partieller Lungenvenenfehlmündung in die supradiaphragmale aneurysmatisch erweiterte Vena cava inferior.
Topics
Das Scimitar-Syndrom ist als hypogenetisches Lungensyndrom eine sehr seltene Form eines kongenitalen pulmonalen venolobaren Syndroms und eine Sonderform der partiellen Lungenvenenfehlmündung. Die unilaterale, meist rechtsseitige komplexe pulmonalvaskuläre Fehlbildung ist charakterisiert durch eine Minderentwicklung eines oder mehrerer Lungenlappen (Agenesie, Aplasie, Hypoplasie) und ihrer Bronchien (bronchiale Hypoplasie, Divertikel, ev. bronchialer Links-Isomerismus mit bilateral zwei gelappten Lungen), sowie durch eine partielle Lungenvenenfehlmündung mit Drainage der oder eines Teils der Lungenvenen des Lungenflügels - meistens der Lungenvenen des Mittel- und rechten Unterlappens - über ein Sammelgefäß, welches einen gekrümmten Verlauf hat, das im Röntgenbild an die Form eines türkischen Schwertes - eines Scimitars – erinnert, in eine Systemvene (supra- oder infradiaphragmale Vena cava inferior, Vv. hepaticae, V. portae, V. acygos, Sinus coronarius) oder in den rechten Vorhof, was einen extrakardialen Links-Rechts-Shunt etabliert. Die ipsilaterale Lungenarterie ist aplastisch, hypoplastisch, oder malformiert; daher erfolgt die arterielle Versorgung der hypogenetischen Lunge bevorzugt durch Äste der Aorta, die oberhalb und unterhalb des Zwerchfells entspringen können.
Die Prävalenz unter Lebendgeborenen wird auf 1-3:100.000 geschätzt. Das weibliche Geschlecht ist leicht bevorzugt (M:F=1:1.4). In ca. 40% wird das Scimitar-Syndrom zufällig bei älteren Kindern und Erwachsenen während einer Thorax-Röntgenuntersuchung aus anderen Indikationen gefunden. Bei den symptomatischen Fällen beginnen die Symptome meist in den ersten Lebensmonaten. In der Neugeborenenzeit wird das Syndrom durch kongestive Herzinsuffizienz (verursacht durch eine shuntbedingte pulmonale arterielle Hypertonie) und Atemnotsyndrom manifest. Selten äußert sich die Krankheit erst bei Kindern und Erwachsenen mit kleinem Shunt durch Herzgeräusche und rezidivierende Atemwegsinfekte. Etwa ein Viertel der Patienten haben auch einen angeborenen Herzfehler (Vorhofseptumdefekt; seltener Ventrikelseptumdefekt, Fallotsche Tetralogie, persistierender Ductus arteriosus, Aortenkoarktation). Andere assoziierte Fehlbildungen sind bronchogene Zyste, Hufeisenlunge, (extralobärer) bronchopulmonaler Sequester, akzessorisches Zwerchfell und Zwerchfellhernien, urogenitale Malformationen, Wirbelmissbildungen und Skoliose.
Charakteristische Merkmale im Röntgen-Thorax sind eine kleine, vermehrt strahlentransparente rechte Lunge mit einer parakardialen, vertikalen, abnorm nach kaudomedial deszendierenden, nach lateral konvexbogigen bandförmigen Opazität (dem sog. „Scimitar-Zeichen“), ein volumengeminderter rechter Hemithorax, ein Hemidiaphragmahochstand rechts, eine Mediastinalverlagerung nach rechts, eine Dextroposition des Herzens, eine exzentrische Hypertrophie des rechten Herzventrikels, Silhouetten-Phänomen der rechten Herz- und Mediastinalkontur, ein kleiner oder fehlender rechter Hilus, ipsilaterale verminderte Lungendurchblutung und eventuell interstitielle retikuläre Strukturverdichtungen (durch eine abnorme systemische Arterialisation) und eine kontralaterale vermehrte Durchblutung der kompensatorisch überblähten linken Lunge.
Die Diagnose stützt sich auf das klinische Bild und die Befunde der transthorakalen oder transoesophagealen Echokardiographie, der Computertomographie, der Magnetresonanztomographie und der Angiographie. Eine pränatale Diagnose durch fetale Echokardiographie ist möglich.
Das Scimitar-Syndrom muss vom Pseudo-Scimitar-Syndrom (anomalous unilateral singular pulmonary vein / meandering pulmonary vein = abnorme
absteigende, in den linken Vorhof mündende Lungenvene) und von der Scimitar-Variante (Drainage der abnormen Lungenvene sowohl in die Vena cava inferior als auch in den linken Vorhof) abgegrenzt werden.
Literatur
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